BVerfGE 99, 145 - Gegenläufige Kindesrückführungsanträge -

 

 



BVerfGE 99, 145 (145):

1. Das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKiEntÜ) gewährleistet die Beachtung des Kindeswohls im Zusammenspiel von Rückführung als Regelfall und Ausnahmen nach Art. 13 und Art. 20 HKiEntÜ. Die restriktive Auslegung dieser Ausnahmeklauseln ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Im Sonderfall gegenläufiger Rückführungsanträge ist eine nähere Prüfung des Kindeswohls anhand von Art. 13 HKiEntÜ verfassungsrechtlich geboten.
3. Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergibt sich die Pflicht, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, daß den Kindern bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung ihrer Interessen zur Seite gestellt wird, wenn zu besorgen ist, daß die Interessen der Eltern in einen Konflikt zu denen ihrer Kinder geraten.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 29. Oktober 1998
-- 2 BvR 1206/98 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Herrn T..., 2. des minderjährigen T..., 3. der minderjährigen T... -- Bevollmächtigte zu 1.: Rechtsanwälte Dr. Hartmut Hiddemann und Kollegen, Günterstalstraße 31, Freiburg i.Br. -- Bevollmächtigte und Ergänzungspflegerin zu 2. und 3.: Rechtsanwältin Michaelis-Hatje, Lange Straße 55, Sulingen -- gegen  den Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 9. Juli 1998 -- 21 UF 88/98 --.
Entscheidungsformel:
Der Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 9. Juli 1998 -- 21 UF 88/98 -- verletzt den Beschwerdeführer zu 1. in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz und die Be

BVerfGE 99, 145 (146):

schwerdeführer zu 2. und zu 3. in ihren Grundrechten aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz. Die Entscheidung wird aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen ein Verfahren nach dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKiEntÜ, BGBl II 1990 S. 206), dem zwei gegenläufige Entführungen zweier Kinder zugrunde liegen. Die Kinder sind zunächst durch die Mutter von Deutschland nach Frankreich entführt und neun Monate später durch den Vater von Frankreich nach Deutschland gewaltsam zurückgebracht worden.
I.
1. Bei Kindesentführungen in einen anderen Staat erlangt der entführende Elternteil nicht selten einen faktischen Vorteil, weil eine alsbaldige Rückführung der Kinder an ihren ursprünglichen Aufenthaltsort auf juristische und organisatorische Hindernisse in der internationalen Zusammenarbeit trifft und die internationale Zuständigkeit für eine Sorgerechtsentscheidung sich gemäß den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 - MSA - (BGBl II 1971 S. 217) nach dem "gewöhnlichen Aufenthalt" des Kindes richtet. Das Haager Kindesentführungsübereinkommen erleichtert deshalb die Zusammenarbeit unter den Vertragsstaaten und fordert auf dieser Grundlage eine sofortige Rückgabe des Kindes.


BVerfGE 99, 145 (147):

Art. 3
Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn
a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
Das unter Buchstabe a) genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.
Art. 12
Ist ein Kind im Sinne des Artikels 3 widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an.
Ist der Antrag erst nach Ablauf der in Absatz 1 bezeichneten Jahresfrist eingegangen, so ordnet das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Rückgabe des Kindes ebenfalls an, sofern nicht erwiesen ist, daß das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat.
Hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates Grund zu der Annahme, daß das Kind in einen anderen Staat verbracht worden ist, so kann das Verfahren ausgesetzt oder der Antrag auf Rückgabe des Kindes abgelehnt werden.
Art. 13
Ungeachtet des Artikels 12 ist das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,
a) daß die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat oder
b) daß die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.


BVerfGE 99, 145 (148):

Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann es ferner ablehnen, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn festgestellt wird, daß sich das Kind der Rückgabe widersetzt und daß es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.
Bei Würdigung der in diesem Artikel genannten Umstände hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Auskünfte über die soziale Lage des Kindes zu berücksichtigen, die von der zentralen Behörde oder einer anderen zuständigen Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes erteilt worden sind.
Nach Art. 19 HKiEntÜ ist die Rückführungsentscheidung nach dem Abkommen nicht als Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen. Die Rückführung soll sicherstellen, daß das Sorgerechtsverfahren am ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes durchgeführt wird. Art. 20 HKiEntÜ ermöglicht es, von der Rückgabe des Kindes abzusehen, wenn sie nach den im ersuchten Staat geltenden Grundwerten über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist.
2. Am 1. Juli 1998 ist das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) in Kraft getreten (BGBl I 1997 S. 2942). Mit ihm wurde das Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) um folgende Bestimmung ergänzt:
§ 50 FGG
(1) Das Gericht kann dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.
(2) Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn
1. das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht,
2. Gegenstand des Verfahrens Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls sind, mit denen die Trennung des Kindes von seiner Familie oder die Entziehung der gesamten Personensorge verbunden ist (§§ 1666, 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs), oder
3. Gegenstand des Verfahrens die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson (§ 1632 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder von dem Ehegatten oder Umgangsberechtigten (§ 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ist.


BVerfGE 99, 145 (149):

Sieht das Gericht in diesen Fällen von der Bestellung eines Pflegers für das Verfahren ab, so ist dies in der Entscheidung zu begründen, die die Person des Kindes betrifft. (...)
II.
1. Der Beschwerdeführer zu 1. ist seit August 1989 mit der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, einer französischen Staatsangehörigen, verheiratet. Aus der Ehe sind ein Sohn, geboren am 31. Oktober 1990, und eine Tochter, geboren am 22. Juli 1994, hervorgegangen. Die Ehegatten leben getrennt. Ein Scheidungsverfahren ist eingeleitet.
a) Im Rahmen eines Verfahrens über die elterliche Sorge während der Zeit des Getrenntlebens gemäß § 1672 BGB vor einem deutschen Gericht erklärte die Mutter in der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 1997 zu Protokoll des Gerichts, sie werde nicht mit ihren Kindern die Bundesrepublik Deutschland widerrechtlich verlassen, sondern eine endgültige Entscheidung in dem Sorgerechtsverfahren abwarten.
Dennoch reiste sie am 7. Juli 1997 gegen den Willen des Vaters, des Beschwerdeführers zu 1., mit den beiden Kindern, den Beschwerdeführern zu 2. und zu 3., nach Frankreich. Das Amtsgericht - Familiengericht - wies dem Beschwerdeführer zu 1. daraufhin das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder zu. Gleichzeitig gab es der Mutter auf, die beiden Kinder an den Vater herauszugeben.
b) Versuche des Vaters, vor den zuständigen französischen Gerichten die Rückführung der Kinder nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen zu erreichen, waren in erster und zweiter Instanz erfolglos. Die Gerichte hielten die Entführung der Kinder durch die Mutter zwar für rechtswidrig, nahmen aber einen Ausnahmetatbestand gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKiEntÜ an, da eine neuerliche Änderung der derzeitigen Lebensbedingungen die Kinder in eine "unzumutbare Lage" bringen würde. Das Verfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen; die Cour de Cassation hat bislang noch nicht über eine vom Beschwerdeführer zu 1. eingelegte Kassationsbeschwerde entschieden.
c) Im Rahmen eines von der Mutter in Frankreich eingeleiteten

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Ehescheidungsverfahrens entschied der Tribunal de Grande Instance von Blois im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, daß beiden Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zustehe und die Kinder ihren Wohnsitz bei der Mutter hätten. Der Vater hat gegen diese vorläufige Sorgerechtsentscheidung Rechtsmittel eingelegt. Hierüber ist noch nicht entschieden.
d) Am 28. März 1998 ließ der Vater die Kinder durch beauftragte Personen aus Frankreich nach Deutschland zu seinem Wohnsitz zurückbringen. Die Entführer gingen dabei gegenüber der Mutter der Kinder gewaltsam vor. Sie zwangen sie in der Dunkelheit auf einer Landstraße zum Anhalten ihres Pkw und zum Aussteigen und fuhren anschließend mit ihrem Pkw und den Kindern davon.
e) Die Mutter, die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, beantragte daraufhin vor dem in Deutschland zuständigen Gericht, die vorläufige Sorgerechtsentscheidung des Tribunal de Grande Instance von Blois vom 10. November 1997 anzuerkennen und für vorläufig vollstreckbar zu erklären sowie die Herausgabe der Kinder an sie oder eine von ihr beauftragte Person anzuordnen. Die Anträge wurden zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde erging die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts, in der die Rückgabe der Kinder an die Mutter auf der Grundlage des Haager Kindesentführungsübereinkommens angeordnet wurde.
2. Das Oberlandesgericht sieht in dem Handeln des Beschwerdeführers zu 1. eine widerrechtliche Entführung im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ. Deshalb seien die Kinder nach Art. 12 Abs. 1 HKiEntÜ an ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort zurückzubringen. Die Kinder hätten unmittelbar vor ihrer Entführung nach Deutschland ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" in Frankreich gehabt. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie bereits knapp neun Monate in Frankreich gelebt, der Sohn sei dort zur Schule gegangen, die Tochter habe den Kindergarten besucht. Beide Kinder seien in Frankreich integriert gewesen. Der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts am Wohnsitz der Mutter stehe auch nicht entgegen, daß die Mutter die Kinder gegen den Willen des Beschwerdeführers zu 1. nach Frankreich entführt habe.


BVerfGE 99, 145 (151):

Anhaltspunkte für eine Ausnahme nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKiEntÜ lägen nicht vor. Die Vorschrift sei einschränkend auszulegen. Die Hinnahme des Rechtsbruchs durch eine Entführung sei nur angesichts ungewöhnlich schwerwiegender Beeinträchtigungen des Kindeswohls gerechtfertigt. Dabei müsse sich die Gefährdung als besonders erheblich, konkret und aktuell darstellen, anderenfalls würde durch die Anwendung des Ausnahmetatbestandes der Zweck des Haager Kindesentführungsübereinkommens vereitelt.
Auch Art. 13 Abs. 2 HKiEntÜ greife nicht ein. Der angeblich von den vier- und siebenjährigen Kindern geäußerte Wille, beim Vater zu bleiben und nicht zur Mutter nach Frankreich zurückzukehren, lasse nicht darauf schließen, daß sich die Kinder einer Rückkehr nach Frankreich ernsthaft widersetzten. Der Senat sehe keinen Anlaß, die Kinder zur Ermittlung ihres Willens anzuhören, zumal sie dem starken Einfluß des Vaters ausgesetzt seien.
III.
Gegen diese Entscheidung legte der Beschwerdeführer zu 1. am 15. Juli 1998 im eigenen Namen sowie in Vertretung der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. Verfassungsbeschwerden ein. Mit Beschluß vom 10. August 1998 ordnete das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Ergänzungspflegschaft für die Verfassungsbeschwerdeverfahren der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. an. Die Ergänzungspflegerin erhob mit Schriftsatz vom 17. August 1998 "rein vorsorglich" eine "erneute" Verfassungsbeschwerde und nahm auf die bisherige Begründung der Verfassungsbeschwerden inhaltlich in vollem Umfang Bezug.
1. Der Beschwerdeführer zu 1. rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 bis 4 GG, die Beschwerdeführer zu 2. und 3. rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Die sofortige Rückführung nach Frankreich bedeute einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. und in das Wohl dieser Kinder sowie in das Elternrecht des Beschwerdeführers zu 1.
Bei einer gegenläufigen Rückführung sei eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls geboten als in einfachen Entführungs

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fällen. Deshalb habe das Oberlandesgericht nicht von der Einholung einer fachpsychologischen Stellungnahme absehen dürfen. Um die Beachtung des Kindeswohls materiell und verfahrensrechtlich zu sichern, sei bei einer Rückführung eine großzügige Auslegung der Ausnahmeklausel erforderlich, damit den Kindern weitere belastende Ortswechsel erspart blieben. Da über den Rückführungsanspruch des Beschwerdeführers zu 1. von den französischen Gerichten noch nicht rechtskräftig entschieden und auch das Sorgerechtsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, könne es nach einer Rückführung zu einem weiteren Ortswechsel kommen. Zudem habe das Oberlandesgericht die Stellungnahme des Jugendamts ignoriert, aus der sich ergebe, daß sich die Kinder innerhalb kurzer Zeit wieder in die ihnen gewohnte Umgebung eingelebt hätten.
Auch das Elternrecht des Beschwerdeführers zu 1. laufe leer, wenn lediglich der von ihm rechtswidrig herbeigeführte Zustand gewürdigt werde und dabei außer acht bleibe, daß die Mutter zuerst rechtswidrig gehandelt und den Beschwerdeführer zu 1. zu seinem Verhalten veranlaßt habe. Im Ergebnis nehme das Oberlandesgericht in Kauf, daß der Beschwerdeführer zu 1. sein Elternrecht vollständig verliere.
In Fällen gegenläufiger Kindesrückführungen könne es verfassungsrechtlich nicht hingenommen werden, daß unter Mißachtung der Belange der Kinder und des zwischenzeitlich bestehenden Zustands allein die zweite Entführung den Entscheidungsmaßstab bestimme. Dadurch würden die Rechte der Kinder und die Ziele des Haager Übereinkommens negiert.
2. Mit Schriftsatz vom 25. September 1998 ergänzte die Ergänzungspflegerin den Vortrag für die Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. Diese seien durch die angefochtene Entscheidung in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sowie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Das Oberlandesgericht habe nicht in ausreichendem Maße gewürdigt, daß der Rückführungsantrag der Kindesmutter sich gegen eine Rückführung durch den Kindesvater wende, der eine erste Entführung durch die Kindesmutter vorausgegangen sei. Auch sei der Rückführungsantrag des Kindesvaters we

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gen dieser vorausgegangenen Erstentführung durch die Kindesmutter nach Art. 12 HKiEntÜ begründet gewesen. Die französischen Gerichte hätten sich bei den ablehnenden Entscheidungen über den Rückführungsantrag des Beschwerdeführers zu 1. über eine Teil-Sorgerechtsentscheidung eines deutschen Familiengerichts über das Aufenthaltsbestimmungsrecht hinweggesetzt, die von ihnen gemäß Art. 7 MSA zu beachten sei, und hätten außerdem die Vorschriften des Haager Kindesentführungsübereinkommens verkannt. Diese Entscheidungen der französischen Gerichte hätten die zweite Entführung durch den Beschwerdeführer zu 1. veranlaßt.
Das Oberlandesgericht habe diese besonderen Umstände nicht hinreichend gewürdigt. Die schlichte Feststellung des Gerichts, daß der zur Frage einer Rückführung nach Frankreich geäußerte Wille der Kinder angesichts ihres Alters nicht überzubewerten sei, lasse die Grundrechte der Kinder leerlaufen. Das Gericht sei verpflichtet gewesen, den Willen der Kinder in geeigneter Weise zu erforschen.
Dazu hätte es den seinerzeit 7 1/2jährigen Sohn persönlich anhören müssen, der sich nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zu 1. weigere, zurück nach Frankreich zu gehen. Selbst wenn das Gericht davon ausgehe, daß "die beiden Kinder der starken Einflußnahme durch den Vater ausgesetzt sind", hätte es die Ernsthaftigkeit ihres Willens notfalls durch ein kinderpsychologisches Gutachten ermitteln müssen.
Für eine stärkere Beteiligung der Kinder spreche auch die mit dem Kindschaftsreformgesetz verbundene Änderung des Verfahrensrechts, die minderjährige Kinder deutlicher in das Verfahren einbeziehe. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts sei nach Inkrafttreten dieser Reform ergangen. Da der neue § 50 FGG grundsätzlich auch auf das Haager Verfahren anwendbar sei, sei gemäß § 50 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGG die Bestellung eines Verfahrenspflegers für die Kinder im Verfahren über den Rückführungsantrag der Mutter erforderlich gewesen, um die Wahrung der Kindesinteressen in ausreichendem Maß zu gewährleisten. In der Nichtbestellung eines Verfahrenspflegers liege ein weiterer Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.


BVerfGE 99, 145 (154):

IV.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung, der Landesregierung von Niedersachsen, dem Bundesgerichtshof, dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Zentraler Behörde nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, dem Kreisjugendamt Diepholz und der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Bundesregierung und die Landesregierung von Niedersachsen haben von einer Stellungnahme abgesehen.
1. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerden für nicht geeignet, vom Bundesverfassungsgericht angenommen zu werden. Das Oberlandesgericht habe das Kindeswohl bei der Auslegung des Haager Kindesentführungsübereinkommens berücksichtigt, die Beschwerdeführer verlangten letztlich vom Bundesverfassungsgericht eine Auslegung des einfachen Rechts und nicht die Entscheidung einer verfassungsrechtlichen Frage.
2. Das Kreisjugendamt Diepholz führt in seiner Stellungnahme aus, daß sich die Kinder gut in die ihnen gewohnte Umgebung am Wohnort des Beschwerdeführers zu 1. eingelebt hätten. Sie hätten Kontakte und Beziehungen mit Gleichaltrigen wieder aufgenommen, der Beschwerdeführer zu 2. sei trotz der Unterbrechung durch den Aufenthalt in Frankreich in die ursprünglich für ihn vorgesehene Schulklasse aufgenommen worden und habe dort viele Kinder wieder getroffen, die er bereits aus dem Kindergarten kenne. Insgesamt scheine es so, als seien die Kinder von einer längeren Reise zurückgekehrt.
3. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerden für zulässig, äußert Bedenken gegen das Verfahren und Elemente der materiellen Würdigung, sieht aber die verfassungsrechtliche Grenze des schlechthin Unvertretbaren nicht überschritten.
4. Der Bundesgerichtshof hat mitgeteilt, daß der XII. Zivilsenat die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes eines Minderjährigen in Zusammenhang mit dem Minderjährigenschutzabkommen erörtert habe. Er habe den gewöhnlichen Aufenthalt davon abhängig ge

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macht, an welchem Ort der Schwerpunkt der Bindungen des Minderjährigen liege. Danach sei maßgebend, ob es zu einer sozialen Einbindung des Minderjährigen in die Lebensverhältnisse am neuen Aufenthaltsort und damit zu einer tatsächlichen Verlegung des Daseinsmittelpunkts gekommen sei. Dafür sei ein Aufenthalt von einer gewissen Dauer erforderlich. In der Rechtsprechung werde "als Faustregel" häufig eine Aufenthaltsdauer von sechs Monaten angenommen, welche der Bundesgerichtshof im Regelfall als angemessene Zeitspanne anerkenne.
V.
Die 3. Kammer des Zweiten Senats hat am 16. Juli 1998 eine bis 3. August befristete einstweilige Anordnung erlassen, die am 31. Juli bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 16. Januar 1999 verlängert worden ist. Gegen diese einstweilige Anordnung legte die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens mit Schriftsatz vom 6. August 1998 Widerspruch ein, der vom Zweiten Senat mit Beschluß vom 17. August 1998 als unzulässig verworfen worden ist. Mit Beschluß vom gleichen Tag hielt die 3. Kammer die einstweilige Anordnung vom 31. Juli 1998 aufrecht.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
Die Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. sind ordnungsgemäß vertreten. In Fällen, in denen Eltern an der Erhebung der Verfassungsbeschwerde wegen eines Interessenwiderstreits gehindert sind, ist ein Ergänzungspfleger zu bestellen (vgl. BVerfGE 72, 122 [132 ff.]). Dies ist durch den Beschluß des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - geschehen.
Das Vorbringen der Ergänzungspflegerin ist dahin auszulegen, daß sie das bisherige Prozeßverhalten, insbesondere die Einlegung der Verfassungsbeschwerde, genehmigt. Diese Genehmigung ist innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erklärt worden. Da die Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. selbst nicht am Verfahren vor dem Oberlandesgericht beteiligt waren, wurde ihnen die angegriffene Entscheidung nicht zugestellt. Für Beschwerdeführer, die

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durch eine Entscheidung belastet sind, die in einem Verfahren ergangen ist, an dem sie nicht beteiligt waren, läuft die Monatsfrist des § 93 BVerfGG erst mit ihrer Kenntnis. Hierfür ist bei den minderjährigen Beschwerdeführern die Kenntnis des Vertreters maßgeblich. Da eine Ergänzungspflegschaft erforderlich war, kann die Frist erst mit Kenntnis des Ergänzungspflegers zu laufen beginnen.
 
C.
Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer zu 1. ist in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.
I.
1. Das Kind hat als Grundrechtsträger Anspruch auf staatlichen Schutz seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 24, 119 [144]; 75, 201 [218]). Zugleich bildet das Wohl des Kindes den Richtpunkt für den staatlichen Schutzauftrag nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. Bei einer Interessenkollision zwischen Eltern und Kind ist das Kindeswohl der bestimmende Maßstab (vgl. BVerfGE 37, 217 [252]; 56, 363 [383]; 68, 176 [188]; 75, 201 [218]).
Grundsätzlich ist die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau "Voraussetzung für die bestmögliche... Entwicklung von Kindern" (BVerfGE 76, 1 [51]). Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 GG schützt die Familie vor allem als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, in der die Eltern ihr dienendes Grundrecht zum Wohle des Kindes wahrzunehmen haben (vgl. BVerfGE 80, 81 [90 f.]). Soweit die Eltern ihren Kindern diese Voraussetzungen nicht bieten können, ist bei der Zuweisung der Elternverantwortlichkeit das Elternrecht vor allem als Elternpflicht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) zu verstehen, das staatliche "Wächteramt" (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) als Verpflichtung zu kindeswohlgerechtem Handeln zu entfalten (BVerfGE 79, 51 [66 f.]) und auf die Kindesgrundrechte abzustimmen. Dabei sind die Elternrechte auch durch die Verpflichtung zur Rechtstreue begrenzt: Eltern haben sich gegenüber ihren Kindern rechtswidriger

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Handlungen zu enthalten und insbesondere die Kinder nicht als Betroffene in rechtswidriges Verhalten einzubeziehen.
2. Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht müssen Minderjährige durch einen Ergänzungspfleger vertreten werden, wenn eine Wahrnehmung ihrer Interessen durch die Vertretungsberechtigten wegen eines Interessenkonflikts nicht sichergestellt ist (vgl. BVerfGE 72, 122 [135]; 75, 201 [214 f.]). Gleiches gilt von Verfassungs wegen für das Verfahren vor den Familiengerichten und den Vormundschaftsgerichten jedenfalls dann, wenn eine für die Zukunft des Kindes bedeutsame Entscheidung getroffen wird und wegen eines Interessenkonflikts zwischen Eltern und Kind die Interessen des Kindes nicht hinreichend durch die Eltern wahrgenommen werden können. Dementsprechend ist nunmehr im Rahmen der Reform des Kindschaftsrechts zum 1. Juli 1998 die Institution eines "Verfahrenspflegers" (§ 50 FGG) eingeführt worden (BGBl I 1997 S. 2958).
Wirkt sich die gerichtliche Entscheidung eines Konflikts zwischen Eltern auf die Zukunft des Kindes aus, so muß sie auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein und das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen (vgl. BVerfGE 37, 217 [252]). Die sich aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflichten fordern für das gerichtliche Verfahren nicht nur materiell-rechtliche, sondern auch verfahrensrechtliche Vorkehrungen, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantieren (vgl. BVerfGE 55, 171 [179]; 79, 51 [66 f.]).
Ohne Verfahrenspfleger wäre das betroffene Kind auf den Vortrag der Eltern und die Ermittlungen des Gerichts angewiesen, während beide Elternteile ihre Interessen eigenständig wahren und vertreten können. Eine solche Verfahrensgestaltung würde nicht hinreichend sicherstellen, daß das Kindeswohl beachtet wird, wenn die Eltern das Verfahren zur Wahrung ihrer eigenen Interessen führen. Zwar ist der Richter zur Wahrung des Kindeswohls und damit zu einer Berücksichtigung der Interessen der Kinder verpflichtet; eine Interessenwahrnehmung im Sinne einer Parteivertretung kann hierdurch aber nicht ersetzt werden, weil der Richter Neutralität wahren muß.


BVerfGE 99, 145 (158):

3.a) Die grundrechtlichen Maßstäbe bestimmen auch die Auslegung und Handhabung völkerrechtlicher Verträge, die gemäß Art. 59 Abs. 2 GG durch Zustimmungsgesetz Rechtsverbindlichkeit erhalten. Völkerrechtliche Verträge, die der Auslegung und Anwendung durch die nationalen Gerichte bedürfen, sind im Lichte des nationalen Verfassungsrechts auszulegen. In diesem Rahmen soll der von den Vertragsparteien intendierte Zweck möglichst umfassend zur Geltung kommen. Dabei müssen auch die allgemeinen Regeln und Grundsätze des Völkerrechts herangezogen werden, die den jeweiligen Sachbereich der vertraglichen Regelung betreffen (vgl. BVerfGE 46, 342 [361 f.] m.w.N.).
b) Das Haager Kindesentführungsübereinkommen ist dem Kindeswohl in gleicher Weise verpflichtet wie das deutsche Verfassungsrecht. Es betont die Bedeutung des Kindeswohls in der Präambel und gewährleistet seine Beachtung im Zusammenspiel von Rückführung als Regel (Art. 12 Abs. 1 HKiEntÜ) und Ausnahmen nach Art. 13 und Art. 20 HKiEntÜ, wonach Rückführungsentscheidungen unterbleiben, wenn sie mit dem Kindeswohl unvereinbar sind (vgl. E. Pérez-Vera, Erläuternder Bericht zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, Anl. 1 zur Denkschrift der Bundesregierung zum Abkommen, BTDrucks 11/5314, S. 41, Rn. 24 f.). Auch ein Vergleich mit der Rechtsprechung der Gerichte anderer Vertragsparteien bestätigt, daß das Haager Kindesentführungsübereinkommen am Kindeswohl ausgerichtet ist (vgl. die Stellungnahme des Ständigen Büros der Haager Konferenz über internationales Privatrecht zum Verfahren 2 BvR 982/95, ILM 35 [1996], 529 [544 ff.]).
II.
1. Das Haager Kindesentführungsübereinkommen enthält die Vermutung, daß eine sofortige Rückführung an den bisherigen Aufenthaltsort dem Kindeswohl grundsätzlich am besten entspricht. Im Einzelfall kann diese Vermutung widerlegt werden (Art. 13 HKiEntÜ). Diese Regelung soll die Grundrechtspositionen der betroffenen Eltern und Kinder zu einem sachgerechten Ausgleich bringen.
a) Eine sofortige Rückführung des Kindes an seinen letzten ge

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wöhnlichen Aufenthalt dient grundsätzlich dem Kindeswohl, weil dadurch die Kontinuität seiner Lebensbedingungen erhalten bleibt. Außerdem werden durch die Rückführung an den "gewöhnlichen Aufenthalt" die Interessen beider Eltern berücksichtigt, weil die ursprüngliche internationale Zuständigkeit für die Sorgerechtsentscheidung gewahrt bleibt und so vermieden wird, daß ein Elternteil aus der rechtswidrigen Entführung der Kinder einen faktischen Vorteil zieht. Schließlich dürfte die Rückführungsanordnung, die den entführenden Elternteil zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, eine generalpräventive Wirkung entfalten.
b) Die Ausnahmeklauseln in Art. 13 und Art. 20 HKiEntÜ tragen der Tatsache Rechnung, daß ein Zurückbringen des Kindes an seinen letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort im Einzelfall mit dem Kindeswohl unvereinbar sein kann. Die Rückführung eines Kindes darf insbesondere unterbleiben, wenn die Rückgabe das Kind in eine unzumutbare Lage brächte oder das Kind sich der Rückgabe in einer angesichts seines Alters und seiner Reife beachtlichen Weise widersetzt.
2. Die restriktive Anwendung der Ausnahmeklauseln durch die Fachgerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Zwecke, die Lebensbedingungen für das Kind zu verstetigen, eine sachnahe Sorgerechtsentscheidung am ursprünglichen Aufenthaltsort sicherzustellen und Kindesentführungen allgemein entgegenzuwirken, weisen die Anordnung der sofortigen Rückführung grundsätzlich als zumutbar aus. Deswegen rechtfertigt nicht schon jede Härte die Anwendung der Ausnahmeklausel; vielmehr stehen nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls, die sich als besonders erheblich, konkret und aktuell darstellen, einer Rückführung entgegen (vgl. Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 1996 - 2 BvR 233/96 -, NJW 1996, S. 1402 [1403]).
3. Härten für den entführenden Elternteil begründen in der Regel keinen solchen Nachteil. Die mit einer Trennung des Kindes von dem entführenden Elternteil verbundenen Beeinträchtigungen des Kindeswohls können meist dadurch vermieden werden, daß der entführende Elternteil gemeinsam mit dem Kind zurückkehrt. Ist

BVerfGE 99, 145 (160):

die Rückkehr für diesen Elternteil mit staatlichen Sanktionen verbunden, so sind diese als Folge der rechtswidrigen Entführung hinzunehmen (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1997 - 2 BvR 1126/97 -, FamRZ 1997, S. 1269 [1270]; Bach, FamRZ 1997, S. 1051 [1056]).
III.
Die Anwendung des Haager Kindesentführungsübereinkommens durch das Oberlandesgericht verletzt die Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und ihrem Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sind Sache der Fachgerichte; das Bundesverfassungsgericht beanstandet nur die Verletzung von Verfassungsrecht. Die zur Überprüfung der Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte entwickelten Maßstäbe gelten in entsprechender Weise für das Völkervertragsrecht (vgl. BVerfGE 94, 315 [328]; vgl. auch BVerfGE 58, 1 [34]; 59, 63 [89]) Das Bundesverfassungsgericht hat dabei zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruht und ob das Auslegungsergebnis die geltend gemachten Grundrechte verletzt (vgl. BVerfGE 30, 173 [188]; Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1997 - 1 BvR 780/87 -, EuGRZ 1998, S. 330 [335]).
2. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist hiernach mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zwar ist das Haager Kindesentführungsübereinkommen auch auf gegenläufige Entführungen anwendbar. Insoweit sind die Auslegung und Anwendung des Art. 3 HKiEntÜ durch das Oberlandesgericht verfassungsrechtlich unbedenklich. Im Sonderfall gegenläufiger Rückführungsanträge ist jedoch eine nähere Prüfung des Kindeswohls anhand von Art. 13 HKiEntÜ verfassungsrechtlich geboten (a). Aus der staatlichen Verpflichtung auf das Kindeswohl ergeben sich zudem verfahrensrechtliche Anforderungen, denen das Verfahren vor dem Oberlandesgericht nicht gerecht wird (b).
a)aa) Der Beschwerdeführer zu 1. hat die Kinder nach der Ent

BVerfGE 99, 145 (161):

führung durch die Mutter eigenmächtig nach Deutschland zurückgebracht. Dazwischen haben sie sich längere Zeit in Frankreich aufgehalten. Deshalb hatte das Oberlandesgericht zu prüfen, ob am Zielort der ersten Entführung ein neuer "gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ begründet worden und die Rückführung deshalb als Rückentführung zu qualifizieren ist (vgl. hierzu die Hinweise auf die amerikanische Rechtsprechung bei L. Silberman, Hague Convention on International Child Abduction: A Brief Overview and Case Law Analysis, Family Law Quarterly 28 [1994], S. 9 ff. [22 f.]). Nur so kann der Gleichlauf zwischen der Rückführungsentscheidung nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen und der Zuständigkeit für die Sorgerechtsentscheidung nach Art. 1 MSA gewahrt werden.
bb) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, daß durch die Integration der Kinder und die Dauer ihres Aufenthalts in Frankreich ein neuer "gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne von Art. 3 HKiEntÜ begründet worden ist, begegnet verfassungsrechtlich keinen Bedenken. Sie orientiert sich an der überwiegenden Auffassung, daß der "gewöhnliche Aufenthalt" rein tatsächlich und nicht normativ bestimmt werden muß (vgl. etwa die Materialien zum Haager Kindesentführungsübereinkommen, BTDrucks 11/5314, S. 48 [Rn. 66]; C. von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. II, 1991, Rn. 333), und bleibt auch im Rahmen der Rechtsprechung zur Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 1 MSA bei rechtswidriger Verbringung eines Kindes an diesen neuen Ort (vgl. BGH, FamRZ 1997, S. 1070; BGH, NJW 1981, S. 520 [521]; OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, S. 96 [97]; OLG Hamm, FamRZ 1991, S. 1346 [1347] und S. 1466 [1467 f.]; OLG Celle, FamRZ 1991, S. 1221 [1222]).
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Auffassung des Gerichts, die Jahresfrist des Art. 12 Abs. 1 HKiEntÜ finde bei Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts i.S. von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) HKiEntÜ keine Anwendung. Eine analoge Anwendung der Jahresfrist (vgl. Staudinger-Pirrung, Vorb. zu Art. 19 EGBGB, Rn. 647) ist weder grundrechtlich geboten noch ist sie die einzig mögliche Auslegung. Für die Entscheidung des Oberlandesgerichts,

BVerfGE 99, 145 (162):

die Bestimmung über die Jahresfrist nicht analog anzuwenden, spricht insbesondere, daß die mit der Frist verbundene Vermutung die Voraussetzungen für den Rückführungsanspruch nach Art. 12 Abs. 1 HKiEntÜ formalisieren und damit seine praktische Durchsetzung erleichtern, nicht aber eigenmächtige Selbsthilfemaßnahmen durch einen Elternteil begünstigen soll.
cc) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) und Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 HKiEntÜ nicht näher zu prüfen, widerspricht dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG und dem Grundrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 1 GG. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts waren gegenläufige Rückführungsanträge nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen anhängig. Das Oberlandesgericht selbst hatte über einen Rückführungsantrag der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens wegen der eigenmächtigen Rückführung der Kinder durch den Beschwerdeführer zu 1. zu entscheiden. Gleichzeitig war vor der Cour de Cassation die Kassationsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. anhängig. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß im Anschluß an die Anordnung des Oberlandesgerichts, die Kinder nach Frankreich zurückzubringen, die Cour de Cassation eine erneute Rückführung nach Deutschland verfügt. Der Zweck des Haager Kindesentführungsübereinkommens, den Aufenthalt des Kindes bis zur Sorgerechtsentscheidung zu verstetigen, die Folgen einer rechtswidrigen Entführung aufzuheben und das Kind an den Ort der zukünftigen Sorgerechtsentscheidung zurückzubringen, würde dann verfehlt. Ein solches Hin- und Rückführen der Kinder widerspräche dem Kindeswohl und wäre für sie unzumutbar, wenn das Gericht nicht besondere Anhaltspunkte feststellt, die eine Rückführung trotz der Gefahr eines weiteren Ortswechsels rechtfertigen. Diese besonderen Umstände hat das Oberlandesgericht nicht hinreichend gewürdigt.
b) Der Grundrechtsschutz bestimmt auch die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (BVerfGE 53, 30 [65]; 55, 171 [182]; 79, 51 [66 f.]).
aa) Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem An

BVerfGE 99, 145 (163):

spruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergibt sich die Pflicht, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, daß den Kindern bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung ihrer Interessen zur Seite gestellt wird.
Die Rückführungsentscheidung ist für das Wohl der Kinder von erheblicher Bedeutung, weil sie ihr soziales Umfeld bestimmt und die Kinder aus der unmittelbaren Zuwendung des sie gegenwärtig betreuenden Elternteiles lösen kann. Deswegen fordern der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz der Kinder und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör eine Verfahrensgestaltung, die eine eigenständige Wahrnehmung der Kindesbelange sicherstellt. Diese Aufgabe obliegt grundsätzlich den Eltern. Haben die Eltern jedoch durch die rechtswidrige Entführung ihrer Kinder jeweils zu erkennen gegeben, daß sie vornehmlich ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen, so können ihre Interessen in einen Konflikt zu denen ihrer Kinder geraten. In diesem Fall muß den Kindern die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr eigenes Interesse, das möglicherweise weder von den Eltern noch von dem Gericht zutreffend erkannt oder formuliert wird, in einer den Anforderungen des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) entsprechenden Eigenständigkeit im Verfahren geltend zu machen. Dieses geschieht bei Kindern, deren Alter und Reife eine eigene Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte nicht erlaubt, durch einen Vertreter, den § 50 FGG als Verfahrenspfleger vorsieht. Ein solcher Pfleger wurde für die Beschwerdeführer zu 2. und 3. in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht nicht bestellt. Deshalb sind die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
bb) Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt außerdem, daß die betroffenen Kinder im Sorgerechtsverfahren angehört werden (vgl. BVerfGE 55, 171 [182]). Zwar sind Rückführungsentscheidungen nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen nach Art. 19 HKiEntÜ nicht als Sorgerechtsentscheidungen anzusehen (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1997 - 2 BvR 1126/97 -, FamRZ 1997, S. 1269 [1270]). Eine Anhörung des entführten Kindes ist deshalb im Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen grund

BVerfGE 99, 145 (164):

sätzlich nicht erforderlich. Im vorliegenden Fall haben die Fachgerichte aber wegen der gegenläufigen Rückführungsanträge zu ermitteln, wie die Kinder eine Rückführung und eine mögliche erneute Rückführung verkraften werden. Dies kann durch Anhörung, gegebenenfalls auch durch Begutachtung und Auskunft der zuständigen Behörde, geschehen.
IV.
Der Verstoß gegen das Kindeswohl begründet zugleich einen Verstoß gegen das Elternrecht des Beschwerdeführers zu 1. aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Das Elternrecht ist ein Grundrecht, das jedem Elternteil einzeln zusteht (vgl. BVerfGE 47, 46 [76]). Durch die Rückführungsentscheidung des Oberlandesgerichts wird der Schutzbereich des Elternrechts berührt, weil die Kinder dem Einfluß des Vaters entzogen werden und er nicht mehr über ihren Aufenthalt bestimmen kann.
Zwar ist es bei einer Trennung der Eltern unvermeidlich, daß nicht beide Elternteile einen gleichen Kontakt und eine gleiche Zuwendung zu den Kindern entfalten können. Da die Elternrechte beider Eltern gleichwertig sind, kann nur das Kindeswohl einen Eingriff in das Elternrecht des jeweils benachteiligten Elternteils rechtfertigen (vgl. auch BVerfGE 55, 171 [179]; 92, 158 [178]).
Eine staatliche Entscheidung, die das Elternrecht beeinträchtigt, aber nicht dem Wohl des Kindes dient, verletzt deshalb Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die vom Oberlandesgericht getroffene Entscheidung ist nicht mit dem Wohl der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. vereinbar. Sie verletzt zugleich das Elternrecht des Beschwerdeführers zu 1. aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Limbach, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer, Broß