Verbrechen - Kapitalverbrechen - Gewaltverbrechen

 

Unter einem Verbrechenwird gemeinhin ein schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung einer Gesellschaft oder die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens verstanden. Allgemein gesprochen handelt es sich um eine von der Gemeinschaft als Unrecht angesehene und von ihrem Gesetzgeber als kriminell qualifizierte und mit Strafe bedrohte Verletzung eines Rechtsgutes durch den von einem oder mehreren Tätern schuldhaft gesetzten, verbrecherischen Akt.


Auch die Rechtswissenschaft versteht unter einem Verbrechen in erster Linie die strafbare Handlung (Straftat) an sich und als solche. Gesellschaftswissenschaftlich befasst sich die Kriminologie mit dem Phänomen des Verbrechens und seinen Erscheinungsformen und Ursachen. Mit den Mitteln und Methoden der Verbrechensbekämpfung und -aufklärung beschäftigt sich die Kriminalistik.


In der aus dem französischen Recht stammenden Systematik der strafbaren Handlungen, wie sie in den meisten kontinentaleuropäischen Strafrechtssystemen in unterschiedlich abgewandelter Form verwendet wird, stellt das Verbrechen (frz. crime) die schwerste Form der Straftat dar und steht in dieser Betrachtungsweise dem Vergehen (frz. délit) als minderschwerem Straftatbestand und der Ordnungswidrigkeit gegenüber.

Besonders schwere (ursprünglich: mit dem Verlust des Lebens zu ahndende) Verbrechen werden auch als Kapitalverbrechen (von lat. caput= „Haupt“) bezeichnet.

 

Inhaltsverzeichnis


1 Historische Einordnung

2 Formeller Verbrechensbegriff in Deutschland

3 Formeller Verbrechensbegriff in Österreich

4 Formeller Verbrechensbegriff in der Schweiz

5 Materieller Verbrechensbegriff

5.1 Naturrechtlicher Verbrechensgehalt

5.2 Lehre vom Rechtsgut

5.3 Lehre vom sozialschädlichen Verhalten

6 Beispiele

6.1 Strafgesetzbuch

6.2 Völkerstrafrecht

6.3 Strafnebengesetze

7 Literatur

8 Siehe auch

9 Einzelnachweise


Historische Einordnung


Die Differenzierung zwischen strafbaren Handlungen unterschiedlicher Schwere ist bereits sehr früh in der Rechtsgeschichte belegt. Schon in der Constitutio Criminalis Carolina wurde zwischen causae maioresund causae minores(schwerwiegenden und minderschweren Anklagegründen) unterschieden; diese Trennung war für die Form der Bestrafung ausschlaggebend: Lebens-, Leibes- und Ehrenstrafen oder Geldbuße und kurzzeitiges Gefängnis.


Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) von 1871 unterschied zwischen drei Stufen der Schwere der Straftat: Verbrechen, Vergehen und Übertretung. Dabei orientierte es sich an dem unter Napoleon entstandenen französischen Code Pénal Impérial (1810), dessen Dreiteilung (crime - délit - contravention) das französische Strafrecht und die eng an das französische angelehnten Systeme (bspw. Belgiens) bis heute bestimmt. Von der Zuordnung der Tat zu einer der drei Kategorien hing wiederum die Strafart ab; für Verbrechen konnte u.U. auf Todesstrafe oder auf Zuchthaus erkannt werden, Vergehen wurden mit Gefängnis und Übertretungen in der Regel nur mit einer Geldstrafe oder kurzer Haft geahndet.


Mit der Strafrechtsreform von 1974/75 trat in der Bundesrepublik Deutschland an die Stelle dieser Trichotomie (Dreiteilung) die heute maßgebliche Dichotomie (Zweiteilung): Seither sind nur noch Verbrechen und Vergehen strafbare Handlungen. Die Übertretungen wurden abgeschafft und zum Teil durch Ordnungswidrigkeiten ersetzt. Strafen wie Zuchthaus oder Gefängnis wurden ebenfalls abgeschafft und eine einheitliche Freiheitsstrafe geschaffen, wobei nun auch Verbrechen durch Geldstrafen gesühnt werden können. Ob diese Zweiteilung beibehalten werden soll, ist unter Strafrechtlern umstritten, da ihre praktische Bedeutung relativ gering ist.


In einigen Rechtssystemen gibt es die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen nicht oder nicht mehr. Beispielsweise existieren in den ebenfalls vom französischen Modell ausgehend entwickelten Strafrechten Italiens, Spaniens und der Niederlande für Bagatellstraftaten zwar weiterhin die Übertretungen (contravvenzioni, faltasbzw. overtredingen), alle anderen Straftaten werden dagegen einheitlich als „Delikte“ oder „Vergehen“ (delitti, delitosbzw. misdrijven) bezeichnet. Trotzdem werden auch hier schwere und weniger schwere Tatbestände entsprechenden Unterkategorien zugeordnet. In den meisten Rechtsordnungen des Common Law gibt es die Unterscheidung zwischen schweren oder „kapitalen“ Verbrechen (felonies) und weniger schweren kriminellen Verfehlungen (misdemeanors), wobei der eigentliche Ausdruck „Verbrechen“ (crime) im Englischen als Oberbegriff dient und systematisch eher der „Straftat“ als solchen entspricht.


Formeller Verbrechensbegriff in Deutschland

Verbrechenstatbestand für Geldfälschung und Inumlaufbringen von falschen oder gefälschten Banknoten auf den Banknoten der DM


Verbrechen ist die subjektiv objektive Verletzung des Rechts in seiner besonderen und allgemeinen gesetzlichen Geltung in einem Maß, dass die rechtliche Selbstständigkeit der betroffenen Person oder Gemeinschaft grundlegend verändert wird (Kriminalrecht). Im deutschen Strafrecht werden gemäß § 12 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) als Verbrechen alle diegesetzlich normierten Delikte bewertet, bei denen eine Strafandrohung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe besteht (z. B. Raub, Körperverletzung mit Todesfolge, schwere Brandstiftung, schwerer sexueller Missbrauch, Rechtsbeugung).


Delikte mit Androhung einer geringeren Mindeststrafe werden gemäß § 12 Abs. 2 StGB als Vergehen bezeichnet.


Ist ein Vergehen in besonderen Fällen mit höherer Strafe bedroht, sodass eine Mindeststrafe von über einem Jahr vorgesehen ist, bleibt die Tat dennoch ein Vergehen - Gleiches gilt entsprechend auch umgekehrt (§ 12 Abs. 3 StGB).


Der Unterschied zwischen Verbrechen und Vergehen wirkt sich auch auf die Strafbarkeit eines Tatversuchs aus, der gemäß § 23 Abs. 1 StGB bei Verbrechen immer strafbar ist, bei Vergehen dagegen nur dann, wenn es im Gesetz ausdrücklich so bestimmt ist (versuchter Hausfriedensbruch ist demnach z. B. nicht strafbar). Auch ist die versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen grundsätzlich strafbar, die zu einem Vergehen jedoch nicht. Von Bedeutung ist der Unterschied auch für den Straftatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB), der nur mit der Androhung eines Verbrechens, nicht aber eines Vergehens verwirklicht werden kann.


Auch für den Verlust von Amtsfähigkeit und Wählbarkeit spielt nach § 45 Abs. 1 StGB die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen eine Rolle.


Aus der Einteilung der Straftaten in Verbrechen und Vergehen ergeben sich auch strafprozessrechtliche Konsequenzen, etwa für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte. Des Weiteren hat ein Angeklagter, dem ein Verbrechen vorgeworfen wird, nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 der Strafprozessordnung (StPO) immer Anspruch auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn er selbst keinen Rechtsanwalt als Verteidiger benennt.


Der Strafbefehl ist nur für Vergehen vorgesehen (§ 407 StPO), und auch eine Einstellung des Verfahrens nach § 153, § 153a, § 154d StPO kommt bei Verbrechen nicht in Frage.


Formeller Verbrechensbegriff in Österreich


Nach § 17 des österreichischen Strafgesetzbuches (Einteilung der strafbaren Handlungen) sind Verbrechen „vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind“ (§ 17 StGB); alle übrigen strafbaren Handlungen sind Vergehen. Im Unterschied zur deutschen Regelung sind in Österreich auch der Versuch und die Bestimmung („Anstiftung“) eines Vergehens strafbar. Weiters ist die Zuständigkeit der Gerichte anders geregelt.


Formeller Verbrechensbegriff in der Schweiz


Das schweizerische Strafgesetzbuch (Stand Januar 2010) definiert Verbrechen als Taten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind (Art. 10 Abs. 2 StGB). Vergehen sind Taten, die mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind (Art. 10 Abs. 3 StGB).


Auch der Versuch eines Verbrechens oder Vergehens ist strafbar (Art. 22 Abs. 1 StGB). Entscheidend ist hierbei der «point of no return» – der letzte entscheidende Schritt, von dem es kein zurück mehr gibt. Der subjektive Tatbestand muss genau gleich erfüllt sein, wie beim vollendeten Delikt. Ausgenommen von Strafe ist der «Versuch aus grobem Unverstand», bei dem die von dem Täter verwendeten Mittel nicht tauglich sind, den angestrebten Erfolg zu verwirklichen; oder wenn an dem von dem Täter angegriffenen Objekt das Delikt überhaupt nicht begangen werden kann (Art. 22 Abs. 2 StGB).


Übertretungen schließlich sind Taten, die mit Buße bedroht sind (Art. 103 StGB). Versuch (und Gehilfenschaft) sind hier nur in vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen strafbar (Art. 105 Abs. 2 StGB).


Materieller Verbrechensbegriff


Der materielle Verbrechensbegriff löst sich von den normativen Vorgaben des Strafrechts. Er ist im Vergleich zum formellen Verbrechensbegriff daher weniger scharf umschrieben und abgegrenzt. Für die Einordnung einer Tat als Verbrechen sind dabei u. a. folgende Kriterien von Bedeutung.


Naturrechtlicher Verbrechensgehalt


Im Naturrecht wird eine Trennung in moralisch an sich verwerfliche Delikte (mala delicta per se) und schlicht verbotene Delikte (mala prohibita) vorgenommen. Diese Unterscheidung von natürlichen und bloß konventionellen Verbrechen spielt im strafrechtlichen Denken des Common Law noch heute eine bedeutende Rolle. Allerdings ist der „natürliche“ Verbrechensbegriff wegen der ihm innewohnenden Gefahr der Willkür und der immanenten Subjektivität in der Dogmatik umstritten.


Lehre vom Rechtsgut


Die juristische Lehre vom Rechtsgut bezeichnet als Verbrechen solche Handlungen, die geeignet sind, geschützte Rechtsgüter in strafwürdiger Weise zu verletzen. Rechtsgüter sind dabei die rechtlich geschützten individuellen Interessen der Teilnehmer am Rechtsverkehr. Dieser „rechtsgutsbezogene“ Verbrechensbegriff ist enger als der natürliche Verbrechensbegriff und knüpft an die normativen Grundlagen einer Rechtsordnung (Gesellschaft) an. Er steht daher dem formellen Verbrechensbegriff schon recht nahe.


Lehre vom sozialschädlichen Verhalten


Aus den Sozialwissenschaften stammt der Begriff des antisozialen Verhaltens, das im Kontext sozial unangepassten oder abweichenden Verhaltens (Devianz) definiert wird. Der daraus erwachsende Verbrechensbegriff stützt sich auf ein sozialwissenschaftliches Verständnis vom Handeln des Einzelnen in der Gesellschaft und bezieht in besonders hohem Maße Erkenntnisse der Kriminalistik ein. Um einen handhabbaren Verbrechensbegriff zu liefern, benötigt jedoch auch dieser Ansatz eine normative Basis.


 

Beispiele

 

Völkerstrafrecht


Strafnebengesetze


Literatur

  • Bernd-Dieter Meier: Kriminologie, C.H. Beck, München 2003

  • Hermann Mannheim: Vergleichende Kriminologie, Enke, Stuttgart 1966

  • Wilhelm Gustav Karl Starke: Verbrechen und Verbrecher in Preußen 1854 - 1878 : eine kulturgeschichtliche Studie ; mit zwölf graphischen Tafeln. Enslin, Berlin 1884 (Digitalisat der ULB Düsseldorf)


Siehe auch



Einzelnachweise


  1. Auch bei einem besonders schweren Sicherheitsnachteil oder unter Mißbrauch einer Vertrauensstellung.

  2. Wenn die Straftaten nur angedroht werden sollen.