Polizei befreit Baby

Polizei befreit Baby aus Jugendamt

Berlin, 16.01.2008: Die Polizei hat gestern in Neukölln ein Baby befreit. Aber nicht kriminelle Menschenräuber waren am Werk, sondern das Jugendamt. Gegen den Willen der Mutter Keziban C. hatte das Amt ihren Sohn Haruncan kurz nach der Geburt in Obhut genommen.

Die Mutter sei nicht in der Lage, für ihren Säugling zu sorgen. Das Familiengericht sah das anders und wies am 10. Januar den Antrag des Jugendamtes ab.

Dennoch lenkte die Behörde erst fünf Tage nach dem Urteil unter dem Druck von Polizeibeamten gestern ein. Noch am Montag hatte eine Mitarbeiterin es gegenüber dem Anwalt Boris Thöner abgelehnt, das Kind herauszugeben. Nach der Intervention der Polizei, die das Amt auf den Gerichtsentscheid hinwies, soll die Mutter am heutigen Mittwochmorgen ihr Baby wiederbekommen.

Der Fall aus Neukölln wirft ein Schlaglicht auf eine Folge der Diskussion um vernachlässigte Kinder. Die Jugendämter sind eifrig bemüht, kein Risiko einzugehen und versuchen vermehrt, Familien den Zugriff auf ihre Kinder zu entziehen. "Da ist eindeutig eine Zunahme festzustellen", sagt Anwalt Thöner, der über eine Neuköllner Sozialberatung mehrere ähnliche Fälle bearbeitet.

Baby Haruncan kam am 11. November 2007 im Krankenhaus Neukölln als Frühchen drei Wochen vor dem Termin zur Welt. Als Frühgeburt musste der Junge noch in der Klinik bleiben, während seine Mutter, die 27 Jahre alte Türkin Keziban C., nach Hause entlassen wurde.

Das Jugendamt zeigte sich aber durch den Zustand der Mutter alarmiert. Schon im Krankenhaus habe sie sehr viel geweint und psychische Auffälligkeiten gezeigt. Sie habe zudem geäußert, mit der Rolle als Mutter überfordert zu sein, schreibt das Jugendamt in seinem Antrag, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn zu entziehen.

Tatsächlich hat die heute 27-jährige vor einigen Jahren zwei Selbstmordversuche unternommen. Heute wohnt sie mit ihren Eltern in einer Zweieinhalbzimmerwohnung. Der Kindesvater, ihr zweiter Ehemann, lebt noch in der Türkei, nach Auskunft der Familie wegen Schwierigkeiten mit der Einwanderungsbehörde. Im selben Haus wohnt der Bruder mit seiner Familie.

Der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst stellte nach Darstellung des Jugendamtes fest, dass kurz vor der avisierten Ankunft des Säuglings in der Wohnung weder Kinderbett noch Babysachen vorhanden gewesen seien. Drei Tage, nachdem sie ihren damals knapp drei Wochen alten Sohn mit nach Hause nehmen konnte, suchte die junge Frau Hilfe und begab sich wegen starker Stimmungsschwankungen zur stationären psychiatrischen Behandlung in die Klinik. Am Tag danach holten Mitarbeiter des Jugendamtes den Säugling aus der Wohnung der Großeltern, nach Amtsangaben mit Billigung der Mutter. Sie bestreitet das. Seitdem hat Keziban C. ihren Sohn nicht mehr gesehen.

Drei Tage, nachdem die Jugendamtsleute Haruncan "aus den Armen der Oma" gerissen hatten, wie es der Anwalt Thöner ausdrückt, verließ die Mutter die Klinik. Das Jugendamt verweigerte aber, das Kind herauszugeben, und stellte am 13. Dezember beim Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg den Antrag, den Jungen in Obhut zu nehmen. Das seelische und körperliche Wohl des Säuglings wäre bei der Mutter und ihrer Familie "nicht ausreichend geschützt", befand das Amt. Andere Hilfsangebote wurden nicht gemacht, weil die Mutter ihre Krankheit nicht einsehen wolle und sich weigerte, sich medikamentös behandeln zu lassen, da sie ihren Sohn stillen wollte.

Das Amtsgericht Neukölln wies zwar den Antrag des Sozialpsychiatrischen Dienstes ab, die Mutter zwangsweise in der Psychiatrie unterzubringen. Dennoch befanden die Jugendamtsmitarbeiter: "Wir konnten aber Frau C. in diesem Zustand ihr Kind nicht mit nach Hause geben."

Eine Psychiaterin bescheinigte der Kindsmutter jedoch einen stabilen Zustand, sie sei wach, gut orientiert, wenn auch gedrückter Stimmung. Ihre Selbstmordversuche rührten daher, dass sie von der Familie ihres ersten Ehemannes unterdrückt worden war.

Das Familiengericht gab der Mutter Recht und merkte an, das Jugendamt habe nie persönlich mit Frau C. gesprochen. Allein die Möglichkeit, dass die Mutter mit der Betreuung überfordert sein könnte, rechtfertige nicht, das Kind in Obhut zu behalten. Die Trennung von der Familie könne nur letztes Mittel sein. Jetzt soll zweimal die Woche eine Familienhelferin nach dem Rechten sehen.

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